Dominante-Preis 2014
Die jährliche feierliche Übergabe des Dominante-Preises fand am 6. November 2014 in der Münchner Tolstoi-Bibliothek statt. Der internationale Preis Dominante wurde im Jahr 2011 vom Verein „Dialog – Neues Münchner Kunstforum e.V.“ zusammen mit der Zeitschrift „Dominante“, Almanach für Literatur und Kunst, Verlag Otto Sagner München, gestiftet und ins Leben gerufen. Die Auszeichnung für „herausragende poetische Entdeckungen und die Entwicklung neuer ästhetischer Prinzipien in der Literatur oder Musik“ wurde erstmalig 2011 an den Schriftsteller, Essayisten und Übersetzer Boris Chasanow vergeben. 2012 wurde der Musiker, Pianist und Pädagoge Romuald Noll mit dem Preis ausgezeichnet.
Den Dominante-Preis 2014 erhielt der Moskauer Dichter, Philosoph, Essayist, Kritiker und Herausgeber Konstantin Kedrov. Als einer der führenden Dichter des gegenwärtigen Russlands und Erfinder des Begriffs Metametapher und der philosophischen Theorie Metacode ist Kedrov mit vielen wichtigen internationalen Preisen bedacht worden.
Nach den Laudationen, gehalten von dem Dichter Vadim Perelmuter sowie von dem Schriftsteller Simon Gourari, Chefredakteur des Almanachs „Dominante“ und künstlerischer Leiter des Dialog-Vereins, erklangen Gedichte und Essays Kedrovs – vom Autor selbst auf Russisch vorgetragen und in Übersetzungen auf Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Dänisch, Ungarisch, Serbisch, Japanisch, Chinesisch, Türkisch von Melanie Li, Hana Hermann, Ines Höpfl, Ellen Seidel, Mirijam Fries, Cécilia Kutter, Julien Hebenstreit, Anton Röhr, Eduardo Navarro, Frederick Rosenstand u. a. Auch die musikalischen Hommagen der jungen Komponisten Julien Hebenstreit und Wolfgang Schinkowski an Gedichte Kedrovs trugen zur warmen kreativen Atmosphäre und dem großen Erfolg beim Publikum bei. Insgesamt war es ein sehr gelungener Abend, der durch die Verbindung verschiedener Kulturen und von Poesie und Musik zur Entdeckung neuer Horizonte inspirierte.
Laudatio für Konstantin Kedrov
(Verleihung des „Dominante-Preises“ 2014)
Auf den ersten Blick spottet die Poesie Kedrovs ungebremst der Architektonik des Verses, der mal mit ihr übereinstimmt und sie mal verrät, bewusst ihre Abhängigkeit betont, plötzlich alle Kanons vernebelt, in eine chaotische Karambolage verschmilzt, die üblichen Schwerpunkte verschiebt und den Leser einfach an der Nase herumführt.
Vielleicht, weil die Natur des Universums in seinen Gedichten unter den endlosen Masken durch kommt – sie ist für ihn die Einheit aller Dinge und der Triumph alles Zufälligen. Wenn Wesentliches sich in Unauffälligem, Unwichtigem versteckt. Und umgekehrt absolut Beiläufiges an Bedeutung gewinnt. Wenn die ambivalente Wirklichkeit sowohl Zuflucht als auch Fremde, feindlich und rettend, mächtig und dienend ist. Aber sie ist immer da, mit dem Dichter und um ihn herum. Wenn die Einfachheit die üblichen Teilungsparameter verliert und eine neue Dimension erwirbt. Wie in seinem berühmtesten Vierzeiler:
„Die Erde flog
Nach den Gesetzen des Körpers
Ein Schmetterling flog
wie erhofft“
Er selbst aber hat das alles viel genauer beschrieben: „Die Metametapher – eine Metapher, wo alles Universum ist. Diese Metapher hat es vorher nicht gegeben. Davor wurde alles verglichen. Der Dichter war wie die Sonne, oder wie ein Fluss oder eine Straßenbahn. Man ist das, worüber man schreibt. Es gibt keinen Baum getrennt von der Erde, keine Erde getrennt vom Himmel, keinen Himmel unabhängig vom Universum, kein Universum getrennt vom Menschen. Diese Sicht ist die eines ‚Universumsmenschen‘.“
Dabei versucht Kedrov nicht, den Leser zu verwirren oder zu überraschen. Er hält die Hoffnung aufrecht, die Leser zu Kameraden seiner Ansichten zu machen, mit der Behauptung, dass „wenn die Wörter im Text sich einander lieben, es bedeutet, dass Sie ein Gedicht gelesen haben“.
Wir können natürlich die Kurve seiner sogenannten dichterischen Laufbahn beschreiben. Aber seine Bedeutung liegt nicht in diesen wichtigen Fakten seiner Biographie. Ich vermute, dass, wenn diese Ereignisse anders gewesen wären, es das Wesen der poetischen Gedanken Kedrovs nicht geändert hätte. Wahre Poesie kann sich nicht je nach den Umständen „zähmen“. Sie flieht vor jemandem, der nach ihr sucht.
Seit den Tagen Platons gibt es die Behauptung, dass Feindschaft zwischen Philosophie und Poesie existiert. Ohne ins Detail zu gehen, müssen wir sagen, dass die Philosophie Kedrovs so mit der Sprache verwachsen ist, dass sie nur da ihre Existenz findet. Und zur gleichen Zeit ist seine Dichtung nicht in der Lage, diese in ihr gefangenen philosophischen Weisheiten zu ignorieren.
Wer spricht hier über die Zeit – ein Philosoph oder ein Dichter? :
„Viel wichtiger ist der Knotenpunkt von Räumen,
die bekannte Beziehungen schöpfen
das Gewinde der Zeit verbindet uns
in einem kontinuierlichen Muster von Hinterspiegel-Beziehungen“
Die ehemalige Welt verschwindet. Wir verlieren das zwar illusorische, aber gemeinsame Band. Es entstehen nicht nur neue Welten. Jeden Tag entstehen neue Erfahrungen von höchster Ordnung, die wir nicht umgehen können. Nur durch solch ein seltenes Talent und einen Denker wie Konstantin Kedrov, der diese neue Ordnung künstlerisch erklären kann, können wir — jeder aus eigener Kraft — dank ihm zu einem neuen Verständnis kommen und damit ungewollt versuchen, Zerfall zu vermeiden.